Die Calla-Lilie ist trotz ihres Namens weder eine Calla noch eine Lilie. Die uneindeutige botanische Identität der Pflanze sowie die Kontroverse um ihre Kategorisierung stehen symbolisch für die Ablösung eines binären Geschlechtermodells und regen eine Reflexion über sexuelle Vielfalt und nonkonforme Geschlechtsidentitäten an. Die Skulptur für den öffentlichen Raum ist durch Magnus Hirschfelds Forschung zu menschlicher Sexualität inspiriert, insbesondere durch seine Thesen zum Hermaphroditismus (heute Inter- und Transsexualität) – die Ästhetik des Entwurfs ruft Assoziationen zu sowohl männlich als auch weiblich gelesenen Geschlechtsorganen hervor. Die in Regenbogenfarben leuchtenden überdimensionalen Blüten des Denkmals knüpfen farblich an ein international bekanntes Symbol der LGBTQI* Community an und erinnern am Magnus-Hirschfeld-Ufer in Berlin an die erste homosexuelle Emanzipationsbewegung. Die Entwicklungsstadien von der Knospe bis hin zur voll aufgeblühten Lilie verweisen auf die weltweit verschiedenen Entwicklungsstadien sexueller Emanzipation.

 

Material: GFK (Glasfaserverstärkter Kunststoff), Eisen, Pulverbeschichtung; Höhe 420 cm, Durchmesser ca. 6 cm

Zur Website des Denkmals für die Erste Homosexuelle Emanzipationsbewegung

 

Entwurf der Hirschfeld AG, bestehend aus:
Sajana Joshi
Malvina Panagiotidi
Jonathan Ryall
Martin Binder
Raju G.C.
Xue Wang
Igor Sovilj
Ino Varvariti
Giannis Delagrammatikas

Credit: Jonathan Ryall

Alternativer Entwurf:

Kratzen – ein Denkmal als Prozess

Materialien: Edelstahl, Farbbeschichtung in sechs Farben, überzogen mit schwarzer Farbe

Dimensionen: 6 Stelen, 225 cm x 300 cm x 10 cm

Konzept: Durch Kratzen an der schwarzen Opferschicht mit harten Gegenständen wie z.B. Schlüsseln oder Münzen können die Besucher:innen Ritzspuren hinterlassen und die Farben unter der schwarzen Schicht freikratzen. So wir das für ein Denkmal dieser Art bestehende Vandalismusrisiko konstruktiv gewandelt, Erinnerungsspuren und Kratzbewegungen legen die Regenbogenfarben frei.
Die Kratzaktivität ist eine Referenz zur wiederholten Beschädigung der bestehenden Gedenktafeln am Magnus-Hirschfeld-Ufer. Der Vandalismus umfasst unter anderem die Verformung einer Tafel, das Beschmieren mit Schriftzeichen und Symbolen auf den Vorder- und Rückseiten und das Auskratzen der Augen der auf den Tafeln abgebildeten Persönlichkeiten.

Diese Form produktiver Interaktion der Destruktion erinnert an die vorsätzliche Zerstörung der Bibliothek des Instituts für Sexualwissenschaft durch Berliner Nationalsozialisten im Mai 1933 (ca. 20.000 Bücher, 35.000 Fotografien und 40.000 Erfahrungsberichte sowie biographische Briefe wurden verbrannt). Weitere Beispiele für homophoben Vandalismus im öffentlichen Raum ist die Beschädigung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Tiergarten, die Beschädigung der Gedenktafel im U-Bahnhof Nollendorfplatz für im Nationalsozialismus verfolgte Homosexuelle und die wiederholte Verbrennung einer Regenbogenskulptur in Warschau, um nur einige zu nennen. Der wiederholte Vandalismus an den Hirschfeld-Gedenktafeln wird zum gestalterischen Element des Denkmals. Die kollektive Kratzaktivität der Besucher:innen bildet eine lebendige Bewegung ab, die Spuren des Zusammenhalts hinterlässt und Solidarität mit der ersten homosexuellen Emanzipationsbewegung über die freigelegten Farben sichtbar macht. Ähnlich wie die Aneignung diskriminierender Begriffe durch die homosexuellen Communities und die daraus resultierende Stigma-Umkehr der Begriffe „schwul“, „homo“, „queer“ oder „gay“ nutzt dieser Denkmalentwurf Aneignung als Strategie zur Umkehr des Vandalismus. Die symbolische Untergrabung der Zerstörung macht aus dem Kratzen eine positive, produktive Tat.

Das zunehmende Hervortreten der unteren Farben steigert die Sichtbarkeit des Denkmals. Durch das Abkratzen der Farbe verändert sich das Denkmal und bietet im öffentlichen Raum einen Ort, der Befreiung und Emanzipation sichtbar werden lässt. Je mehr gekratzt wird, desto vielfarbiger wird das Denkmal und desto deutlicher treten die sechs Farben unter dem Schwarz der Metallwand hervor. Durch diese Handlungsstrategie wird eine aktive Teilnahme gefordert, die für Menschen jeder Körpergröße möglich ist und spontan mit mitgebrachten Gegenständen als Kratzwerkzeug erfolgen kann. Die Höhe des Denkmals verhindert, dass die schwarze Farbe komplett verschwindet und erinnert somit auch daran, dass lange nicht alle Ziele der homosexuellen Emanzipation erreicht sind. Die von Passant:innen hinterlassenen Kratzspuren tragen zu einem lebendigen Gedenkort bei.

Entwurfsskizze "Kratzen", die den Vandalismus an den Gedenktafeln zum gestalterischen Element macht
Zerkratze Augen an den bestehenden Gedenktafeln